1802 - 1850
O schöner Ort, den Toten
auserkoren
Zur Ruhestätte für die müden Glieder!
Hier singt der Frühling Auferstehungslieder,
Vom treuen Sonnenblick zurückbeschworen.
Wenn alle Schmerzen auch ein
Herz durchbohren,
Dem man sein Liebstes senkt zur Grube nieder,
Doch glaubt es leichter hier: wir sehn uns wieder,
Es sind die Toten uns nicht ganz verloren.
Der fremde Wandrer, kommend
aus der Ferne,
Dem hier kein Glück vermodert, weilt doch gerne
Hier, wo die Schönheit Hüterin der Toten.
Sie schlafen tief und sanft in
ihren Armen,
Worin zu neuem Leben sie erwarmen;
Die Blumen winkens, ihre stillen Boten.
1802 – 1850
Ich trag im Herzen eine tiefe
Wunde
Und will sie stumm bis an mein Ende tragen;
Ich fühl ihr rastlos immer tiefres Nagen,
Und wie das Leben bricht von Stund zu Stunde.
Nur eine weiß ich, der ich
meine Kunde
Vertrauen möchte und ihr alles sagen;
Könnt ich an ihrem Halse schluchzen, klagen!
Die eine aber liegt verscharrt im Grunde.
O Mutter, komm, laß dich mein
Flehn bewegen!
Wenn deine Liebe noch im Tode wacht,
Und wenn du darfst, wie einst, dein Kind noch pflegen,
So laß mich bald aus diesem
Leben scheiden.
Ich sehne mich nach einer stillen Nacht,
O hilf dem Schmerz, dein müdes Kind entkleiden.
1802 – 1850
O spottet nicht der traurigen
Asketen,
Daß sie den Leib mit scharfen Leiden plagen,
Die süßen Erdenfreuden sich versagen,
Die flüchtigen, nur allzuschnell verwehten!
Nebst solchen, die das Futter
gierig mähten,
Seit des verlornen Paradieses Tagen,
Hat eine Schar von Herzen stets geschlagen,
Die, abgewandt, die Weide hier verschmähten.
Ein schüchternes Gefühl: ›Wir
sind gefallen!‹
Hält sie vom lauten Freudenmarkt zurück,
Heißt sie den Pfad einsamer Dornen wallen.
Es wächst ihr Ernst, wenn sie
vorüberstreifen
An einem unverdienten Erdenglück;
Die Scham verbietet, keck darnach zu greifen.
1802 - 1850
Zwiefaches Heimweh hält das
Herz befangen,
Wenn wir am Rand des steilen Abgrunds stehn
Und in die Grabesnacht hinuntersehn,
Mit trüben Augen, todeshohlen Wangen.
Das Erdenheimweh läßt uns trauern,
bangen,
Daß Lust und Leid der Erde muß vergehn;
Das Himmelsheimweh fühlts herüberwehn
Wie Morgenluft, daß wir uns fortverlangen.
Dies Doppelheimweh tönt im
Lied der Schwäne,
Zusammenfließt in unsre letzte Träne
Ein leichtes Meiden und ein schweres Scheiden.
Vielleicht ist unser
unerforschtes Ich
Vor scharfen Augen nur ein dunkler Strich,
In dem sich wunderbar zwei Welten schneiden.
1802 – 1850
I
Hast du schon je doch ganz
allein gefunden,
Lieblos und ohne Gott auf einer Heide,
Die Wunden schnöden Mißgeschicks verbunden
Mit stolzer Stille, zornig dumpfem Leide?
War jede frohe Hoffnung dir
entschwunden,
Wie einem Jäger an der Bergesscheide
Stirbt das Gebell von den verlornen Hunden,
Wie's Vöglein zieht, daß es den Winter meide?
Warst du auf einer Heide so
allein,
So weißt du auch, wie's einen dann bezwingt,
Daß er umarmend stürzt an einen Stein;
Daß er, von seiner Einsamkeit
erschreckt,
Entsetzt empor vom starren Felsen springt
Und bang dem Winde nach die Arme streckt.
II
Der Wind ist fremd, du kannst
ihn nicht umfassen,
Der Stein ist tot, du wirst beim kalten, derben
Umsonst um eine Trosteskunde werben,
So fühlst du auch bei Rosen dich verlassen;
Bald siehst du sie, dein ungewahr,
erblassen,
Beschäftigt nur mit ihrem eignen Sterben.
Geh weiter: überall grüßt dich Verderben
In der Geschöpfe langen dunklen Gassen;
Siehst hier und dort sie aus
den Hütten schauen,
Dann schlagen sie vor dir die Fenster zu,
Die Hütten stürzen, und du fühlst ein Grauen.
Lieblos und ohne Gott! der Weg
ist schaurig,
Der Zugwind in den Gassen kalt; und du? –
Die ganze Welt ist zum Verzweifeln traurig.
1802 – 1850
Bist du noch nie beim
Morgenschein erwacht
Mit schwerem Herzen, traurig und beklommen,
Und wußtest nicht, wie du auch nachgedacht,
Woher ins Herz der Gram dir war gekommen?
Du fühltest nur: ein Traum
wars in der Nacht;
Des Traumes Bilder waren dir verschwommen,
Doch hat nachwirkend ihre dunkle Macht
Dich, daß du weinen mußtest, übernommen.
Hast du dich einst der
Erdennacht entschwungen,
Und werden, wie du meinst, am hellen Tage
Verloren sein des Traums Erinnerungen:
Wer weiß, ob nicht so deine
Schuld hienieden
Nachwirken wird als eine dunkle Klage
Und dort der Seele stören ihren Frieden?
1802 – 1850
Mir hat noch deine Stimme
nicht geklungen,
Ich sah nur erst dein holdes Angesicht,
Doch hat der Strom der Schönheit mich bezwungen,
Der hell von dir in meine Seele bricht.
Ins Tiefste ist er mächtig mir
gedrungen,
Was dort bis nun gelebt, nun lebt es nicht,
Süß sterbend ward es von der Flut verschlungen;
Das ist der Liebe himmlisches Gericht!
O daß mein kühnes Hoffen,
banges Zagen
Ein milder Spruch aus deinem Munde grüßte!
Die Wellen, die so laut mein Herz durchschlagen,
Wohin doch werden sie die
Seele tragen?
An der Erhörung Paradiesesküste? –
In der Verstoßung trauervolle Wüste? –
1802 – 1850
Die Jugend folgt, ein Rosenblatt,
den Winden;
Wenn, jung getrennt, sich wiedersehn die Alten,
Sie meinen doch, in ihren ernsten Falten
Den Strahl der süßen Jugend noch zu finden.
Des Dauerns Wahn, wer läßt ihn
gerne schwinden?
Mag auch ein Herz, das uns geliebt, erkalten,
Wir suchen immer noch den Traum zu halten,
Nur stiller sei geworden sein Empfinden.
Die Jugend folgt, ein
Rosenblatt, den Lüften;
Noch leichter als die Jugend flieht die Liebe,
Die nur des Blattes wonnereiches Düften.
Und dennoch an den herben Tod
des Schönen,
Im treuen Wahn, als ob es ihm noch bliebe,
Kann sich das Herz auch sterbend nicht gewöhnen.
1802 – 1850
Sieh dort den Berg mit seinem
Wiesenhange,
Die Sonne hat verzehrend ihn durchglüht,
Und Strahl auf Strahl noch immer niedersprüht;
Wie sehnt er nach der Wolke sich so bange!
Dort schwebt sie schon in
ihrem luftgen Gange,
Auf deren Kuß die Blumenfreude blüht;
Wie flehend sich um ihre Neigung müht
Der Berg, daß sie sein Felsenarm umfange!
Sie kommt, sie naht, sie wird
herniedersinken,
Er aber die Erquickungsreiche tief
Hinab in seinen heißen Busen trinken.
Und auferblühn in wonniger
Beseelung
Wird, was an schönen Blüten in ihm schlief.
Ein treues Bild der Liebe, der Vermählung!
Sieh hier den Bach, anbei die
Waldesrose.
Sie mögen dir vom Lieben und Vermählen
Die wandelbaren, täuschungsvollen Lose
Getreuer viel, als Berg und Wolk, erzählen.
Die Rose lauscht ins liebliche
Getose,
Umsungen von des Haines süßen Kehlen,
Und ihr zu Füßen weint der Ruhelose,
Der immer naht, ihr immer doch zu fehlen.
Ein schönes Spiel! solang der
Frühling säumt,
Die Rose hold zum Bach hinunter träumt,
Solang ihr Bild in seinen Wellen zittert.
Wenn Sommersgluten sie vom
Strauche jagen,
Wenn sie vom Bache wird davongetragen,
Dann ist sie welk, der Zauber ist verwittert!
1802 – 1850
Ein Wandrer läßt sein helles
Lied erklingen:
Nun schweigt er still und schwindet in den Föhren;
Ich möchte länger noch ihn singen hören,
Doch tröst ich mich: er kann nicht ewig singen.
Der Wandrer schweigt, doch
jene Felsen bringen
Mir seinen Widerhall in dunklen Chören,
Als wollten sie sein Lied zurückbeschwören,
Nun ist es still – den Quell nur hör ich springen.
Der Wandrer schwieg und
schied; ich sprach gelassen:
Fahr wohl! Warum denn fühl ich jetzt ein Trauern,
Daß länger nicht sein Nachhall mochte dauern?
Mehr als des Menschen Tod will
michs erfassen,
Wenn ihn bereits nach wenig Tagesneigen
Hier, dort noch einer nennt – bis alle schweigen.
1802 – 1850
Schon hat der Lenz verblüht
und ausgesungen;
Die holden Träume, seligen Gefühle
Erstarben in der bangen Sommerschwüle,
Mit der das Tatenleben angedrungen.
»Das Roß gespornt! die Wehre
frisch geschwungen!«
So heißt es nun im heißen Kampfgewühle,
Bis mir der Sabbat fächelt seine Kühle,
Wann Müden mich der stille Tod umschlungen. –
Mir wars versagt, in jenen
Blütentagen,
O Mädchen meiner Sehnsucht, dich zu finden;
Es suchten dich vergebens meine Klagen! –
Noch taucht mir hier und dort
aus Kampfeswogen
Dein Bild herauf, doch muß es wieder schwinden,
Bald hat die Brandung es hinabgezogen.
1802 – 1850
Ist Gras gewachsen über die
Geschichte,
Weiß nicht mehr recht, wie sie
sich zugetragen;
Nur manchmal schwebt mir’s vor
in Dämmerlichte,
Als hätt’ ich einer Schuld
mich anzuklagen.
Doch abgewandt vom störenden
Gesichte,
Rug’ ich’s nicht an und will
es nicht befragen,
Weil Blick und Mut ich in die
Zukunft richte;
Ich schlage mich nicht gern
mit alten Tagen.
„Wenn dir der Sensenmann den
Leib hinstrecket,
Wird er auch säuberlich das
Gras dir mähen,
Das jene Schuldgeschichte dir
verdecket.
Kehr’ mutig um zu den
verlaßnen Bühnen,
Die Schuld mit scharfem
Reueblick zu sehen;
Soll sie dir sterben, eile sie
zu sühnen.“
1802 – 1850
’s ist eitel nichts, wohin
mein Aug’ ich hefte!
Das Leben ist ein vielbesagtes
Wandern,
Ein wüstes Jagen ist’s von dem
zum andern,
Und unterwegs verlieren wir
die Kräfte.
Ja, könnte man zum letzten
Erdenziele
Noch als derselbe frische
Bursche kommen,
Wie man den ersten Anlauf hat
genommen,
So möchte man noch lachen zu
dem Spiele.
Doch trägt uns eine Macht von
Stund’ zu Stund’,
Wie’s Krüglein, das am
Brunnenstein zersprang,
Und dessen Inhalt sickert auf
den Grund,
So weit es ging, den ganzen
Weg entlang.
Nun ist es leer; wer mag
daraus noch trinken?
Und zu den andern Scherben muß
es sinken.